Ach ist das schön. Man merkt erst, dass man noch lebt, wenn es so richtig weh tut. Das ist sowieso das Motto von uns Patienten. Ein ruhiger Tag ohne Vorkommnisse langweilt uns.
Ich musste mit dem Kleinsten Zwerg zur Impfung. Eigentlich auch nichts Besonders, die haben am Anfang ständig U-Termine, Impfungen, Auffrischungen usw. Diesmal war Meningokokken dran und ich war froh, das dieser Mist geimpft werden kann, weil er schon 1 Jahr alt ist und gesund. Das bedeutet, dieses Kind hatte keinen Husten, Schnupfen, Brechdurchfall, nichts. Bevor wir uns in das Wartezimmer beim Kinderarzt gesetzt haben.
Nun ist das bei meinem Kinderarzt so. Ich hege eine innige Hassliebe mit ihm, seiner Praxis und den Sprechstundenhilfen. Ich weiß, die machen nur ihren Job, nur leider manchmal sehr lustlos, dafür dass sie mit Kindern arbeiten. Der Arzt ist sehr betagt, also steinalt, was man ihm anmerkt. Gerne macht er zwei kleine Patienten auf einmal, mal in das eine, mal in das andere Sprechzimmer, immer in genervte Mutti-Gesichter blickend und einem zuraunend, „was der Andere nebenan gerade kriegt“. Als ob mich das interessiert, nach 90 Minuten Wartezeit will ich die Impfung und wieder gehen, nicht mehr und nicht weniger. Es dauert einfach ewig. Seit dem ersten Mal schreibe ich alles auf, was ich auf dem Rezept nachher mitnehmen will, sonst vergessen ich das in meiner Wut. Ich bin da auch schon ordentlich eskaliert, wer kennt es nicht. Vielleicht haben sie einen Vermerk in der edv gemacht, Achtung wenn die Alte anruft, nett bleiben, die hat nicht alle Latten am Zaun, und krank ist sie auch noch. Am Ende tut er mir auch einfach leid. Seinen Ruhestand hat er bestimmt auch schon im Kopf und keinen Bock mehr auf schreiende Kleinkinder.
Es nervt einfach, dass man sein gesundes Kind dahin trägt und verseucht wieder mit nach Hause nimmt. Manchmal hat man auch Glück und es wird gerade kein Privatpatient erwartet, der direkt durchgehen darf und man darf in einem Behandlungszimmer warten. Wir hatten kein Glück.
Die Stunde Warten hat gereicht, damit mein Kleinster sich die Erkältungen der Anderen Kinder eingefangen hat. Sah man ihm gar nicht an. Von der Impfung kann das auch nicht gekommen sein, weil die macht von sich aus kein Fieber und ist super gut verträglich, sagte Dr. Dinosaurier. So wurde „Patient 0“ von Minute zu Minute verschnupfter, die Augen tränten und der Husten manifestierte sich. Leider hat die Praxis dann immer schon zu. Wie gerne würde ich da anrufen und sagen: „Hallo, Susi, danke für die Unfähigkeit, die gesunden Vorsorgepatienten auf die freien Zimmer aufzuteilen und den Rest zur Bazillen-Party im Wartezimmer, ja genau, uns hat es erwischt. Auf den Patienten-Akten meiner Kinder steht nicht umsonst „Mutter hat MS“, ich hasse euch, danke für nichts. Neue Medikamente brauchen wir ja eh nicht, wozu da also anrufen.
Die oberste Etage im Kühlschrank besteht sowieso aus Hustensaft, Fieberzäpfen, Sirup, dies das jenes. Alles da, um einen Erkältungsnotfall in den Griff zu kriegen. Wie erwartet, wurden die Nächte unruhiger und kürzer, mein Kleinkind wachte schreiend auf und ließ sich nicht beruhigen, bis alle sich im Zimmer versammelt hatten und gefragt haben, ob es brenne.
So lustig diese kleinen Nachtparties auch sind, Mutti schläft nachts total gerne und nach einer Woche merkt man, dass man in einem Alter ist, indem man das nicht mehr wegsteckt. Stand der Dinge, Augenringe. Wir bedanken uns beim Erfinder des concealers und streicheln morgens unsere Kaffemaschine. Zum Glück ist Vollmond nur einmal im Monat, wir haben das hier regelmäßig, inklusive Schlafwandeln.
Patient 0 hat dafür gesorgt, dass er nicht lange alleine bleibt, immer schön darauf bedacht, seinen Rotz quer übers Gesicht zu tragen und jeden anspringend. Tröpfeninfektion ist was für Anfänger, wir haben springendes Baby mit spontanem Anniesen.
Nach einer Woche Hustentee, dreimal mit, einmal ohne Honig, nie verwechseln, Nasenspray, Fieberzäpfchen hier, Fiebersaft da, sind alle übern Berg. Innerlich habe ich eine Entspannung gespürt, als das Wochenende anrückte, ich Idiotin. Als ob das für Mütter irgendeinen Unterschied macht. Heute bin ich aufgestanden, nachdem ich bis halb 9 geschlafen habe und habe verkündet, das habe sich jetzt angefühlt, wie ausschlafen bis 12. Verwirrung, verwunderte Blicke, Gemurmel am Tisch.
Später kam die Sonne raus und während die Babies geschlafen haben, dachte ich, ich müsste raus mit den Großen. Ich werd das wohl nie lernen. „Sleep when the baby sleeps“ und nicht, „Steig aufs Fahrrad und setz dich auf den Spielplatz“. Ich weiß auch einfach, dass ich Glück gehabt habe, dass das alles noch geht und will jeden Moment nutzen. Die Großen haben neue Kontakte geknüpft, was für Mama natürlich heißt, sie hat auch neue Leute kennen zu lernen, gefälligst. Gerade als wir gehen wollten, tauchten auch noch Klassenkameraden auf, na prost Mahlzeit. Da war mir schon kalt und ich hätte mich verzupfen müssen. Nein, stattdessen bin ich wieder auf mein Fahrrad gestiegen und habe einen extra Umweg gemacht, um Kuchen zu besorgen. Zu Hause angekommen, waren die Babies noch am schlafen und der Ehemensch in der Küche dabei, einen Kuchen anzurühren. Irgendwie hat die Luft, geschwängert mit Viren und dem üblichen Zu-Hause-Duft, im Gegensatz zu der frischen Luft von Draußen mir den Rest gegeben.
Einmal nießen, Gesundheit, zweimal Nießen, oh-oh-, dreimal heißt game over.
Nase zu, Kopf dicht, kalt und die Laune zerstört. Normale Menschen hätten jetzt genug. Bei mir meldet sich gerne noch ein großes Gelenk dazu, einfach nur, um noch eine Schippe drauf zu legen. Heute ist es die Schulter. Ein stechender, scharfer und nicht auf Ibuprofen reagierender Mistkerl von Schmerz ist eingezogen, um mich zu ärgern.
Da es nicht meine Art von Therapie ist, da groß rumzuheulen, mache ich Tortellini mit Kürbis-Füllung und karamellisiere Zwiebeln, walze Nudelteig aus und sehe meinem Mädchenkind dabei zu, wie sie das fleißig alles zusammeln fummelt.
Was machen Menschen mit MS und ohne Kinder dann? Ich würde ja an Selbstmitleid sterben und einen Wick-Medi-Night Rausch erleiden. So ist schon besser.
Ich rufe vielleicht trotzdem gleich in der Praxis an. Da läuft ja der AB. Die haben ja nicht die Zeit, meine Nummer abzugleichen. Sollen sie ruhig wissen, dass sie jetzt schuld daran sind, dass ich einen Rotwein getrunken habe, obwohl meine Ibus noch nicht abgebaut waren. Qualitätsmanagement am Hinterteil. Und Schnupfen in der Schulter.